MÜNCHEN 22.03.01 Computerwoche (mo/bs) –
Überteuerte Produkte, arrogantes Auftreten, Schwächen bei
wichtigen Funktionen – so verärgert Siebel im
deutschsprachigen Raum potenzielle Käufer seiner CRM-Software.
Im Mittelstand gilt das Produkt als ungeeignet.
Gut 60 Inhouse-Arbeitsplätze und einige hundert externe
Anwender – das war Siebel wohl zu wenig. Bei der DG Bank Schweiz
hat sich der weltweit führende Anbieter von Software für
das Customer-Relationship-Management (CRM) nicht sehr viel
Mühe gegeben – und Anfang dieses Jahres den Auftrag gegen den
österreichischen Spezialanbieter Uniquare verloren. „Als
kleine Bank im Schweizer Private Banking fühlten wir uns durch
das sehr gut vorbereitete Uniquare-Team besser vertreten, das sich
bereits in der Angebotsphase auf die besondere Situation unseres
Hauses eingestellt hatte“, berichtet Martin Schiffauer, bei der DG
Bank Schweiz für CRM zuständig.
Schiffauer ist kein Einzelfall. „In Interviews mit vielen
CRM-Anwendern war immer wieder zu hören, dass Siebel-Vertreter
oft als arrogant empfunden wurden und nicht gerade gut vorbereitet
zu den Präsentationen kamen“, berichtet Wolfgang Schwetz,
Inhaber der auf CRM spezialisieren Unternehmensberatung Schwetz
Consulting.
Die fachlichen Belange des Münchner Siebel-Anwenders Home
Order Television (HOT) beispielsweise interessierten den
Softwarehersteller schon nach der Produktpräsentation nicht
mehr. Änderungswünschen schenkte man im
Siebel-Hauptquartier in San Mateo, Kalifornien, wenig
Gehör:
„Es scheint dort nicht bekannt zu sein, dass Deutschland in
Bezug auf den Pro-Kopf-Umsatz der größte
Versandhandelsmarkt der Welt ist“, so der Eindruck von Matthias
Weber, Leiter des Kundenservice bei HOT. Dies zeige sich auch an
der Lokalisierung der Software: Systemfehlermeldungen würden
beispielsweise in Englisch ausgegeben, was sich als wenig
anwenderfreundlich herausstellte.
Das Teleshopping-Unternehmen hatte sich vor rund eineinhalb
Jahren für Software von Siebel entschieden: „Die starke
Marktpräsenz des CRM-Anbieters sowie die Aussicht,
künftige Aufgaben mit dem System lösen zu können,
waren die ausschlaggebenden Punkte pro Siebel“, erinnert sich
Weber. Aber auch mit der Funktionalität der Software sei man
grundsätzlich zufrieden gewesen.
Anlass zur Kritik gibt es laut Weber bei der Unterstützung
der Prozesse für das Teleshopping: „Der Kunde möchte beim
Anruf zuerst wissen, ob der gewünschte Artikel überhaupt
verfügbar ist. Ist dies der Fall, sollte erst dann eine
Auftragsposition angelegt und zuletzt die Adresse des Kunden
erfasst werden müssen.“ Dadurch soll der Telefonkunde nicht
Angaben machen und warten müssen, um erst am Ende zu erfahren,
dass das Produkt doch nicht vorhanden sei. Das Siebel-System
arbeitet diesen Prozess standardmäßig genau in
umgekehrter Reihenfolge ab.
Branchen-Know-how ist gefordert
„Eine CRM-Einführung muss branchenspezifisch gestaltet werden.
Die entsprechende Branchenkompetenz eines Anbieters ist daher sehr
wichtig“, erläutert Thomas Hantusch, Senior-Manager im
E-CRM-Bereich bei KPMG Deutschland, und weist darauf hin, dass
Siebel seine Stärken unter anderem im Segment der
Finanzdienstleister hat. Aber gerade in dieser Disziplin muss sich
der Anbieter Spezialisten wie Uniquare oder der FJA AG geschlagen
geben.
Auch in anderen Branchen setzen Spezialanbieter Siebel zu. So
konzentriert sich CAS, Pirmasens, auf die Konsumgüterindustrie
und konnte dort wichtige Unternehmen von seiner Software
überzeugen, unter anderem Bahlsen, Philips und Schöller.
„CRM-Anbieter wie CAS machen mit ihrer modernen Softwarearchitektur
dem Siebel-Produkt zunehmend das Leben schwer“, beobachtet auch
Gabriele Dobenecker, Analystin bei der Meta Group.
Hinzu kommt, dass Siebel einen Großteil der Funktionen
seiner Produktsuite nicht selbst entwickelt, sondern hinzugekauft
hat. „Siebel hatte eine Menge Arbeit zu leisten, um die Produkte zu
integrieren“, zeigt Colleen Amuso, Research Director Customer
Relationship Management bei der Gartner Group, auf. „Der Nachweis,
dass die Integration nahtlos gelungen ist, muss aber noch
geführt werden.“
Integration zeigt noch Schwächen
Ein Beispiel für Zukäufe ist der Produktkonfigurator, den
Siebel mit der Akquisition des Unternehmens Onlink im vergangenen
Sommer erworben hat. Daneben arbeiten die Kalifornier hier mit dem
französischen Anbieter Ilog zusammen. Die Funktionen in diesem
Bereich stellen die Kundenbasis bislang nicht zufrieden. Der Grund:
Die von Siebel mitgelieferten Lösungen seien nicht flexibel
und offen genug, berichtet Anwender Otto Zeppenfeld, Leiter
Prozess- und IV-Lösungen für Vertrieb und Service der
Deutschen Telekom AG. Er prognostiziert: „Darauf werden noch viele
Unternehmen stoßen, die kundenindividuell konfigurierte,
komplexe technische Produkte verkaufen.“
Die Lösung technischer Probleme hat für Siebel
anscheinend keine hohe Priorität. Einer Analyse des
Beratungsunternehmens AMR Research zufolge investiert der
Hersteller nur sieben Prozent seiner Ausgaben in die
Produktentwicklung. Etablierte Anbieter unternehmensweiter Software
wie SAP und Peoplesoft wenden dagegen 15 bis 25 Prozent dafür
auf. Dagegen fließen bei Siebel 39 Prozent in Marketing und
Vertrieb. Uwe Ritter, Director Internet Applications Emea bei
Siebel, erklärt das geringe Entwicklungsbudget mit Siebels
Arbeitsweise: „80 Prozent der funktionalen Eigenschaften unserer
Software kommen auf Grund von Kundenanforderungen zustande. Daher
definiert das Produkt-Marketing die Kernanforderungen, die die
Entwicklung nur codiert.“
Berater als Steigbügelhalter
Vor allem Beratungsunternehmen dürften einen großen
Anteil am Erfolg von Siebel haben. Einer weiteren AMR-Studie vom
März vergangenen Jahres lässt sich entnehmen, dass alle
wichtigen Vertreter dieser Branche wie Accenture (ehemals Andersen
Consulting), CSC, Deloitte Consulting, Cap Gemini Ernst &
Young, IBM Global Services, KPMG und Pricewaterhouse-Coopers mit
Siebel strategische Kooperationen unterhalten. Selbst
internationale Mitbewerber wie Clarify, das heute Nortel
gehört, und Vantive, das von Peoplesoft gekauft wurde,
erfahren nicht diese Aufmerksamkeit. Den Extremfall stellt IBM
Global Services dar: Die Dienstleister dort beschäftigen rund
300 CRM-Experten und unterhalten mit Siebel eine exklusive
strategische CRM-Partnerschaft.
Dass Siebel in Deutschland trotzdem nicht so erfolgreich ist
wie in anderen Ländern, mag seinen Grund auch in der
mittelständisch geprägten Wirtschaftsstruktur hierzulande
haben. „Siebel ist für Großunternehmen entwickelt
worden“, stellt CSC Ploenzke-Berater Michael Kiesel klar, „für
mittelständische Kunden ist die Software häufig zu
teuer.“ Das bestätigt auch Schiffauer von der DG Bank: „Die
Siebel-Lösung wäre mehr als doppelt so teuer wie Uniquare
gewesen.“ Selbst Siebel-Mitarbeiter Ritter bestätigt, dass
sich sein Unternehmen in der Vergangenheit eher auf
größere Kundenfirmen konzentriert hat. Das ändere
sich aber nun.