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Dem CRM-Markt steht die lang erwartete
Konsolidierung bevor

MÜNCHEN – Nach einem Umsatzeinbruch im dritten Quartal
scheint es für den führenden Anbieter von Customer
Relationship Management (CRM-) Lösungen, Siebel Systems,
wieder aufwärts zu gehen. Darauf lassen zumindest die Zahlen
des vierten Quartals schließen. Doch auch im
CRM-Geschäft wachsen die Bäume nicht in den Himmel.

Die Nachfrage nach CRM-Lösungen ist im vergangenen Jahr
erheblich langsamer als bisher gewachsen. Den Marktforschern von
Gartner zufolge stieg der weltweite Umsatz aus dem
Neulizenzgeschäft im vergangenen Jahr gegenüber 2000 nur
um acht Prozent auf 3,9 Milliarden Dollar an. Zum Vergleich:
Zwischen 1999 und 2000 lag die Wachstumsrate noch bei 89 Prozent.
Die weltweite Wirtschaftsflaute und die Ereignisse des 11.
September ließen das Geschäft vor allem in den letzten
Monaten des Jahres einbrechen. „Spektakuläre Abschlüsse
sind rar geworden“, bringt Wolfgang Schwetz von der Karlsruher
Unternehmensberatung Schwetz Consulting die Problematik des von
vielen Experten lange Zeit als Wachstumsmarkt per excellence
apostrophierten Segment auf den Punkt.

Diese Erfahrung musste auch Marktführer Siebel Systems
machen. Im dritten Quartal verzeichnete der CRM-Anbieter aus San
Mateo, der seine Einnahmen bis dahin Jahr für Jahr hatte
verdoppeln können, einen Umsatzeinbruch um 14 Prozent (siehe
Grafik). Der Nettogewinn ging sogar um 47 Prozent gegenüber
dem gleichen Zeitraum des Vorjahres zurück. Nach den Worten
von Chairman und Chief Operating Officer (CEO) Tom Siebel
verzeichnete das Unternehmen in den ersten Wochen nach dem 11.
September kaum noch neue Aufträge.

Seit November/Dezember zeichnet sich jedoch allmählich
wieder eine Belebung ab. Den vergangene Woche vorgelegten Zahlen
zufolge erzielte Siebel im vierten Quartal zumindest ein leichtes
Umsatzplus – von 428,5 Millionen auf 481,4 Millionen Dollar –
gegenüber dem Vorquartal. Für das Gesamtjahr stiegen die
Einnahmen um 14 Prozent auf 2,05 Milliarden Dollar an. Den
Nettoprofit konnte die Software-Company sogar von 123,1 Millionen
auf 254,6 Millionen Dollar mehr als verdoppeln. Dabei rettete sie
sich allerdings mehr oder weniger über die Serviceeinnahmen
durchs Jahr. Firmenangaben zufolge lagen diese im vierten Quartal
bei 231 Millionen Dollar, während das Lizenzgeschäft rund
250 Millionen Dollar einbrachte. Allerdings spiegelt die Zunahme
des Servicegeschäfts einen allgemeinen Trend in der Branche
wider.

Gut lief das Geschäft laut Firmenchef Tom Siebel vor allem
im Dezember. In den letzten vier Wochen des Jahres habe sein
Unternehmen rund die Hälfte des gesamten Quartalsumsatzes
erwirtschaftet. Da sich die positive Entwicklung in den ersten
Januarwochen fortgesetzt habe, rechnet der CEO nun für 2002
wieder mit Wachstum. „CRM besitzt nach wie vor die höchste
Priorität in lT-Abteilungen“, begründet der Firmenchef
seinen Optimismus. Große Hoffnungen setzt er vor allem in
Zentraleuropa – und hier speziell in den CRM – Schlüsselmarkt
Deutschland.

Regional betrachtet ist Siebels US-amerikanisches Geschäft
mit 56 Prozent Anteil am Gesamtumsatz nach wie vor am
einträglichsten und spiegelt damit die allgemeine Situation im
CRM-Markt wider: Laut Aberdeen Group entfielen 2001 rund 7,8
Milliarden und damit gut 58 Prozent des gesamten Markts auf die
USA. Angesichts der dortigen Investitionsflaute will der
CRM-Anbieter aber mittelfristig versuchen, 40 Prozent seiner
Einnahmen in den USA, 40 Prozent in Europa und 20 Prozent in der
übrigen Welt erwirtschaften.

CRM bleibt ein Wachstumsmarkt
Den Analysten von Gartner zufolge steckt in Europa noch
großes Potenzial: Der gesamte europäische CRM-Markt –
inklusive Servicegeschäft – soll von 5,1 Milliarden Dollar im
Jahr 2001 auf 18,5 Milliarden Dollar 2005 wachsen. Zum Vergleich:
Weltweit erwarten die Marktforscher von Aberdeen für das
laufende Jahr ein Wachstum von 14,1 Prozent. Bis zum Jahr 2005 soll
das Marktvolumen auf 27,8 Milliarden Dollar expandieren. Siebels
Hoffnungen auf ein anhaltend gesundes Wachstum dürften damit
auch angesichts schrumpfender Budgets und einer
gesamtwirtschaftlichen Abkühlung nicht unbegründet
sein.

Derzeit ist Kostensenkung einmal mehr das stärkste Argument
dafür, den Vertrieb mit Hilfe von Kundenbeziehungs-Management
umzustrukturieren. Zudem vermag die Company insofern von der
Rezession zu profitieren, als sie ihre Produkte an eine große
Zahl bestehender Kunden verkaufen kann, während es
Unternehmen, die Neukunden gewinnen müssen, momentan schwer
haben.

Zurzeit befindet sich der stark zersplitterte CRM-Markt in einer
Konsolidierungsphase, die laut Gartner bis 2004 weltweit nur rund
50 Anbieter überleben werden. Auch Frank Naujoks, Consultant
bei der Meta Group, ist überzeugt davon, dass der momentanen
Konsolidierung „noch eine Reihe von Herstellern zum Opfer fallen
werden“. Dabei würden große überregionale Player
wie Siebel, SAP, Oracle, Peoplesoft und Nortel-Clarify tendenziell
an Einfluss gewinnen. „Aber auch Nischenanbieter, die sich auf eine
Branche oder eine Unternehmensgröße spezialisieren,
werden weiter Erfolg haben“, glaubt der Experte. Ute Appenzeller,
CRM-Analystin bei der Aberdeen Group in Amsterdam, nennt in diesem
Zusammenhang vor allem Microsoft: „Die Redmonder werden speziell
die kleineren und mittleren Unternehmen in Beschlag nehmen“,
mutmaßt die Analystin.

Siebel gilt in Sachen CRM nach wie vor als der Klassenbeste, auf
den laut Gartner rund ein Drittel aller in Europa verkauften
Softwarelösungen entfallen. Die CRM-Software des Unternehmens,
das die Analysten als „technology-enabled selling leader“
bezeichnen, ist weltweit im Einsatz und problemlos auf die jeweils
höhere Version aufrüstbar. Zudem stehen die
Kernanwendungen in dem Ruf, besonders stabil und skalierbar zu
sein. Vor allem in den Bereichen Marketing und Sales-Force
Automation hat die Lösung nach Ansicht von Appenzeller ihre
Stärken. „Siebel setzt sich hier selbst sehr hohe
Maßstäbe“, so die Expertin.

Allerdings ist es angesichts der quantitativ schwer messbaren
Vorteile und Betriebskosten nicht immer einfach, einen Return on
Investment (RoI) durch den Einsatz der Software zu bestimmen.
Darüber hinaus stellt das Produkt extrem hohe Anforderungen an
die Integration. „Die Implementierung der Siebel-Lösung kann
locker mal ein Jahr dauern – und das wird dann natürlich sehr
kostspielig“, gibt Expertin Appenzeller zu Bedenken – ein Argument,
das auch in Anwenderkreisen immer wieder zu hören ist.

Konkurrenz durch E-Business-Suites
Hier können die traditionellen Anbieter von
ERP-(Enterprise-Resource-Planning-)Systemen wie SAP oder Oracle
punkten, die zunehmend mit eigenen CRM-Lösungen in den Markt
drängen und dabei mit der einfachen Backup-Integration in ihre
Systeme werben. Auch Peoplesoft, Nortel-Clarify und der auf
Analyse-Tools spezialisierte US-amerikanische Anbieter Epiphany
versuchen, dem Branchenprimus Siebel Marktanteile abzujagen. Die
volle Bandbreite und Funktionstiefe der Siebel-Software wird zwar
nach Ansicht der Gartner – Experten keiner dieser Player vor 2004
bieten können. Dennoch muss sich der Marktführer warm
anziehen, da die Wettbewerber zunehmend mit kompletten
E-Business-Suites auf den Markt kommen, während Siebel nur das
Frontend liefert.

Vor allem SAP könnte den Kaliforniern gefährlich
werden. Das aktuelle SAP-Release „Mysap CRM“ bietet nach den Worten
von Meta-Group-Consultant Naujoks zwar auch „nicht ganz die
Funktionalität von Siebel“. Doch jenseits aller Vor- und
Nachteile sprechen die nackten Zahlen Bände. So sind die
Walldorfer dem Branchenprimus im Lizenzneugeschäft in den
vergangenen Monaten immer dichter auf die Fersen gerückt:
Weltweit erwirtschaftete SAP im vierten Quartal rund 198 Millionen
Dollar mit CRM-Lizenzen. Damit ist der Abstand zu Siebel (250,2
Millionen Dollar) schon deutlich kleiner geworden.

SAP profitiert dabei vor allem von seiner großen
Kundenbasis im ERP-Bereich. Für diese Anwender ist Mysap CRM
als Teil des E-Business-Bundles von SAP relativ preisgünstig.
Zudem lässt sich die CRM-Lösung ohne großen Aufwand
in R/3 integrieren. Vor allem auf dem deutschen Markt hat SAP als
ERP-Marktführer handfeste Wettbewerbsvorteile, die er nach den
Worten von Naujoks auch nicht einfach aus der Hand geben wird:
„Viele Anwender warten erst einmal ab, was ihr Hauslieferant macht,
bevor sie sich neue Software anschaffen, die sie auch im Portfolio
ihres ERP-Herstellers erwarten dürfen“, so der Berater.

SAP auf dem Vormarsch
Der Wunsch der Anwender nach einer gesamten E-Business-Suite, die
ein ERP-System beinhaltet, könnte auch nach Einschätzung
von Aberdeen-Analystin Appenzeller ein Problem für Siebel
werden – „speziell in Deutschland, wo SAP einen enormen Heimvorteil
hat“. Viele Firmen hätten zunächst eine kleine
CRM-Lösung installiert, die schnell abgeschrieben ist.
„Nachdem sie ihre ersten Erfahrungen damit gemacht haben, sind sie
jetzt eher bereit, zu SAP zu wechseln“, so die Expertin.

Einen weiteren Trumpf sieht CRM-Experte Schwetz in dem „riesigen
Beraterpool“ der Walldorfer, der ihnen enorme Chancen biete,
Marktanteile hinzuzugewinnen. Laut Schwetz ist es in Deutschland
nur eine Frage der Zeit, bis Hasso Plattner & Co. bei ihrer
R/3-Clientel die CRM-Führung übernehmen werden.
Voraussetzung sei allerdings, dass sich die SAP-Berater mehr Wissen
über den CRM-Bedarf von Branchen aneignen, die zu Siebels
SAP-Schlüsselmärkten zählen – etwa Financial
Services, Pharma und Lifescience. „Hier kann SAP noch nicht aus dem
Vollen schöpfen“, so Schwetz. Zudem habe Siebel mit der
Ankündigung von 20 Branchenlösungen „dokumentiert, dass
der CRM-Vorreiter das Feld auch in einem so schwierigen Markt wie
Deutschland nicht kampflos SAP überlassen wird.“

Integration bleibt ein Problem
Mit Skepsis betrachtet der Experte allerdings die Integration der
Branchenlösungen. Bereits bei der Einführung und
Implementierung der branchenneutralen Siebel-Software sei es
häufig zu Verzögerungen und Problemen gekommen, die die
CRM-Projekte zum Scheitern gebracht hätten. Bei den vertikalen
Lösungen sei jedoch noch zusätzlich spezielles
Branchen-Know-how erforderlich. „Wo kommen die Partner und
Systemintegratoren denn her, die dieses Fachwissen haben?“ fragt
sich der Berater. Bei Siebel selbst will man von einer Gefahr durch
den großen SAP-Kundenstamm nichts wissen. Nach Angaben von
Phil Robinson, Vice President of International Marketing, setzt ein
großer Teil von Siebels weltweit 3000 Kunden die ERP-Systeme
der Walldorfer ein. „Wir haben keine Angst, dass SAP uns unsere
CRM-Marktführerschaft streitig macht“, behauptet Robinson.
„Die entscheidende Frage ist eher, wer von den wichtigen
Wettbewerbern – SAP, Oracle und Peoplesoft – den zweiten Platz
für sich beanspruchen wird“, so der Marketing-Chef. „Wir sind
die Nummer eins – weltweit und in Deutschland. Und das wird auch in
Zukunft so bleiben.“

Quelle: Computerwoche vom 01.02.2002

Hier finden Sie die Grafiken zu dem Artikel:
Jahresumsätze von Siebel Systems
Marktanteile weltweit (2001)