Ein Gespräch mit Microsoft-Topshot Kirill Tatarinov führte zu einem überraschenden Schluss. Vergesst ERP – Microsoft will alles.
17.04.2015
Man hat nicht jeden Tag Gelegenheit, mit einem Mitglied der Microsoft-Führungsriege ein exklusives Gespräch zu führen. Entsprechend bereiteten wir uns auf das Interview mit Kirill Tatarinov vor. Er ist im Range eines Executive Vice President verantwortlich für den Bereich Business Solutions (CRM, ERP, …). Wir fragten Microsoft-Partner und -Kunden, was wir den Topmanager fragen sollten. Tatarinovs Antworten waren eloquent, aber halt sehr unkonkret. Richtig spannend wurde es erst zum Schluss, als Tatarinov in einigen wenige Sätzen die Ziele des US-Software-Konzerns umriss. Das Interview.
Wo immer man mit Informatik-Verantwortlichen oder CEOs spricht, gibt es ein Schlagwort: „Digitalisierung“. Von Microsoft Dynamics hört man, ganz im Gegensatz zu Konkurrenten wie SAP, nicht viel zum Thema. Verpassen Sie den Trend?
Kirill Tatarinov: Schauen Sie die wichtigsten Aspekte der Digitalisierung an. Da haben wir doch ziemlich fortschrittliche Pläne. Man spricht darüber, dass Computer persönlicher werden. Dass die Menschen Technologie mit welchem Gerät auch immer benützen können. Windows 10 ist die nächste Welle in der Entwicklung persönlicherer Technologie.
Dann spricht man über intelligente Cloud-Dienste. Vor zwei Wochen haben wir Azure IoT-Services angekündigt. Damit bringen wir einige bestehende Cloud-Dienste, wie Azure Stream Analytics, mit zukünftigen Services zusammen. Wichtiger: Wir bieten intelligente Portale, die helfen, viele Geräte (zum Beispiel Sensoren – Red.) anzusprechen und das Internet der Dinge mit Business-Systemen zu verbinden. Es gibt viele Beispiele von Microsoft-Kunden, die heute Signale aus der IoT-Welt in den Business-Systemen verwenden.
Predictive Maintenance ist aktuell vielleicht die wichtigste Anwendung des IoT in Business-Solutions. Man kombiniert das Wissen von Maschinen mit dem System. Speziell im Maschinenbau, wo Ersatzteile sehr teuer sein können.
Ich habe Demos für Predictive Maintenance dieses Jahr von SAP gesehen und zuvor bereits von Infor. Aber nie von Microsoft.
Kirill Tatarinov: Wir haben Kunden, die IoT-Lösungen für Predictive Maintenance mit Dynamics AX und mit Dynamics CRM erfolgreich ausgerollt haben. Sie setzen solche Szenarien sehr aktiv um.
Die Mitarbeiter einer Firma wollen heutzutage das ERP-System ihrer Firma mit verschiedensten Geräten nutzen. Sie wollen ihre iPhones und Android-Geräte auch während der Arbeit gebrauchen. Microsoft scheint mir aber in der eigenen Windows-Welt festzustecken.
Kirill Tatarinov: Das war in der Vergangenheit so. Aber in den letzten 18 Monaten haben wir die Art und Weise, wie wir mit anderen Plattformen arbeiten, völlig verändert. Wir akzeptieren die Tatsache, dass die Menschen eine grosse Anzahl verschiedener Geräte im Berufsleben und privat nützen. Alles, was wir heute entwickeln, funktioniert auch auf iOS- oder Android-Geräten. Office und Dynamics CRM laufen auf Apple- oder Android-Geräten und es gibt auch Clients für NAV.
Alles, was Sie in Zukunft von Microsoft sehen werden, wird alle populären Betriebssysteme unterstützen.
Sie versuchen, Dynamics CRM und Dynamics AX auch im Markt für grössere Firmen zu positionieren. Nun sagen mir aber Kritiker, der Service von Microsoft sei – gerade verglichen mit SAP – noch nicht auf dem Niveau, das Grossfirmen brauchen.
Kirill Tatarinov: Geben Sie Ihrem Gesprächspartner meine Karte. Er soll mich anrufen. Wir haben in den letzten zwei Jahren eine starke Service-Organisation aufgebaut, die Ressourcen von Microsoft Consulting Service für Enterprise-Kunden vergrössert. Dies für Dynamics CRM und AX. Und wir haben Support Engineers, die Kunden unterstützen können. Darüber hinaus bauen wir für die grössten Implementierungen Experten-Teams auf, die unsere Technologie und Kundenprozesse sehr gut verstehen und Kunden und Partnern helfen können. Zum Beispiel hat Carrefour eine Lösung für Order-Management mit AX aufgebaut und Dynamics AX und CRM in China für Loyalty-Management.
Lassen Sie uns über Datenschutz sprechen. Viele Firmen in der Schweiz hassen die Idee, dass ihre Daten den Schweizer Rechtsraum verlassen könnten. Wann baut Microsoft eine eigene Cloud in der Schweiz?
Kirill Tatarinov: Intelligente Clouds zu bauen, gehört zu unseren obersten Prioritäten. Und wir vergrössern unsere Präsenz weltweit laufend, damit die Kunden den Schutz ihrer Daten bekommen, den sie brauchen.
Ich denke, niemand unternimmt so viel, die Kundendaten zu schützen wie wir. Ein weiterer Aspekt ist, dass wir von hybriden Clouds ausgehen. Wenn Kunden unsere Technologie in ihrem eigenen Rechenzentrum anwenden wollen, so können wir diese Option anbieten. Das gilt für Azure, für SQL Server auf Azure, für Dynamics CRM online und Office.
Microsoft-Partner beklagen sich über sinkende Margen und sie kritisieren, dass man zu wenig verdienen kann, wenn man seine Kunden in die Microsoft-Cloud bringt. Schliesslich laufen sie ja Gefahr, den Kunden zu verlieren, denn dieser hat dann eine direkte Beziehung zu Microsoft.
Kirill Tatarinov: Die Technologie-Welt hat sich weitherum verändert. Anstatt Lizenzen zu verkaufen, liefert man heute Software-Abonnemente als Service. Also muss sich auch der Partner-Channel verändern. In den letzten drei oder vier Jahren beobachten wir diese Veränderungen und wir sehen viele Partner, die zu Beratern geworden sind und so gute und wiederkehrende Umsätze erzielen. Und doch gibt es auch Partner, die in der Vergangenheit feststecken.
Die Vorstellung, dass Ihre Partner einzig vom Ertrag als Berater ihrer Kunden leben können, scheint mir nicht realistisch. Sie brauchen auch in Zukunft die Unterstützung seitens der Software-Hersteller.
Kirill Tatarinov: Natürlich wird Microsoft seine Partner auch weiterhin unterstützen. Das steht ausser Frage.
Was ist die Zukunft von Dynamics NAV. Wird es ein NAV 365 geben? Und wann?
Kirill Tatarinov: Auf eine gewisse Weise gibt es NAV 365 schon. Aber im KMU-Markt spielen die Partner eine unersetzbare Rolle. Wir werden uns auch weiterhin im KMU-Markt auf unsere Partner verlassen. Sie können schon heute ihre NAV-Lösung auf Azure lauffähig machen und Office 365 integrieren. Die Partner liefern NAV dann aus Azure heraus. Die Beziehung zum Kunden bleibt intakt und der Partner kann trotzdem eine Cloud-Lösung anbieten.
Ich kann mir aber auch vorstellen, dass es eine Art NAV 365 geben wird, bei dem Microsoft die Kernfunktionalitäten den besten Partnern abkauft und selbst den Kunden anbietet.
Kirill Tatarinov: Wenn, dann würden wir so ein Angebot zusammen mit den Partnern entwickeln. Und es werden die Partner sein, die schon heute NAV aus der Azure-Cloud liefern.
Unser Bekenntnis zum NAV-Partnerchannel bleibt. Es ist der breiteste Verkaufskanal, den wir haben. Wir lieben ihn, werden ihn entwickeln und in die Zukunft bringen.
iele Schweizer Firmen experimentieren mit Cloud. Aber den Kern ihrer Business-Lösung wollen sie dann doch bei sich im Keller stehen haben. Können Sie sagen, wie gross der Prozentsatz der Kunden ist, die ERP aus einer Cloud beziehen?
Kirill Tatarinov: Heute betrachten viele Kunden ihre Business-Software noch entweder als CRM- oder als ERP-Lösung. Auch Industrieanalysten sehen die Welt noch so. In Zukunft werden diese Werkzeuge aber verschmelzen.
Ungefähr die Hälfte der Organisationen, die CRM-Projekte haben, wollen in die Cloud. Die andere Hälfte will Installationen vor Ort. Wir können beide bedienen.
Im ERP-Markt wächst der Wille, die Anwendungen in Cloud-Strukturen zu migrieren. Heute schauen sich ungefähr ein Viertel der Organisationen Cloud-Strukturen an. Aber in der ERP-Welt will man meistens seine ERP-Software extern hosten lassen und nennt dies Cloud. Entscheidend ist, wie skalierbar eine Installation ist. Die meisten potentiellen AX-Anwender, die wir an der Kundenkonferenz Convergence vor zwei Wochen trafen, wollen die Lösung auf Azure betreiben und so die Kosten reduzieren.
Was sind Ihre Pläne für die nächste Zukunft?
Kirill Tatarinov: Wir haben in den letzten sechs Monaten das Portfolio der Dynamics-Produkte komplett überarbeitet. Das wird so weitergehen. In zwei Monaten gibt es einen Update von Dynamics CRM, im Herbst wird es eine neue Version von NAV geben und AX 7 wird in Barcelona Anfang September lanciert.
Wir entwickeln unsere Lösungen rasch weiter und sind auch sehr zufrieden mit der Entwicklung des Geschäfts.
Aber Sie nennen keine Zahlen?
Kirill Tatarinov: Wir schlüsseln den Umsatz von Dynamics nie auf. Über alles gesehen, wächst unser Geschäftsbereich Business Solutions im letzten Quartal in zweistelligen Prozentzahlen. Dieses Wachstum hat sich fortgesetzt. Der Umsatz mit Dynamics CRM Online hat sich im Jahresvergleich glatt verdoppelt.
Wir machen heute etwa zwei Milliarden Dollar Umsatz mit Business Solutions und streben fünf Milliarden Dollar an – es ist ein spannendes Wachstumsfeld für unsere Firma.
Microsoft ist also immer noch der weltweit viertgrösste Business-Software-Hersteller?
Kirill Tatarinov: Wir haben eben nicht hunderte von unterschiedlichen Lösungen. Und wir schauen das Geschäft nicht isoliert an. Wir sind einzigartig, weil wir die Business-Lösungen und Azure und Office 365 zusammen anbieten können. Mit Microsoft Cloud for Business, wie wir es nennen, können wir einzigartige Lösungen anbieten. Letzten Oktober haben wir zum Beispiel Microsoft Solutions for Sales Productivity lanciert. Darin enthalten ist Office 365, Power BI und CRM Online. Es ist nicht nur ein Bundle – die Produkte sind tief integriert. Wir haben ein sehr kosteneffizientes Angebot für Verkaufs-Profis: Für 65 Dollar pro Monat und User bekommt man die komplette Lösung. Das Angebot ist im Markt unerreicht. (Das Gespräch führte Christoph Hugenschmidt anlässlich des IT-Kongresses X.Days in Interlaken.)