Showdown im Messeherbst: Die gute alte Systems
ist tot. Um die Nachfolge bewarben sich in den vergangenen drei
Wochen gleich vier süddeutsche IT-Veranstaltungen: Zuerst die
it & business (it&b) in Stuttgart, dann in Nürnberg
die it-sa (IT Security Area) und die CRM-Expo, denen jetzt in
München die discuss & discover (d&d) folgte.
Zu den Zahlen: Am meisten hat die Münchner Messe verloren.
Die Zahl der teilnehmenden Firmen ist von über 1000
Ausstellern auf 250 teilnehmende Firmen abgestürzt. Damit
befindet sich die d&d auf einem Level mit der IT Security Area,
die im vergangenen Jahr in ähnlicher Größenordnung
noch Unteraussteller auf der Systems war. Mit 312 Ausstellern ist
die ERP-Branche fast komplett von der Systems-Halle A1 nach
Stuttgart zur it&b umgezogen. Kein direkter Abkömmling der
Systems ist die CRM-Expo, deren Veranstalter 176 Aussteller nach
Nürnberg geholt und damit die geplante CRM Area in Stuttgart
verhindert hat. Die Besucherzahlen bewegen sich von 3000 bei der
CRM-Expo zu jeweils rund 6500 für it-sa und it&b und 6000
der d&d, die damit das Ziel verfehlt hat, die Mitbewerber zu
überholen. Die Glaubwürdigkeit dieser Angaben ist
angesichts der aktuellen Konkurrenzsituation schwer
einzuschätzen. Klar ist jedoch, dass sie unter den Erwartungen
der Veranstalter liegen – auch wenn diese etwas anderes
sagen.
Stuttgart wollte über 7000 kommen. Zur it-sa waren im
vergangenen Jahr rund 10.000 Security-Interessenten gekommen.
Insgesamt bedeuten die Zahlen, dass jede Veranstaltung auf Kosten
der anderen wachsen müsste, um dauerhaft
überlebensfähig zu sein. Nicht nur, weil – wie etwa
in Stuttgart – die Standmieten zu niedrig wären, sondern
vor allem weil für Hersteller und Besucher vier Messen
schlicht zu viel sind.
Nach dem diesjährigen Vier-Minimessen-Herbst beginnt daher
hinter den Kulissen ein Ringen aller mit allen.
Messeverantwortliche, die lange nicht miteinander konnten (etwa
CRM-Expo und die Stuttgarter Messegesellschaft), erwägen
Kooperationen. Die d&d versucht bei der Security-Branche
zerbrochenes Porzellan zu kitten und die it-sa nach München
zurückzuholen. Der Stuttgarter Messe-Chef Ulrich Kromer will
die it&b durch Akquisitionen zum wahren System-Erben wachsen
lassen.
Kleinere Veranstalter fürchten um ihre
Eigenständigkeit und verhandeln über eine Entzerrung der
Veranstaltungstermine. Und alle umwerben die Aussteller, wobei
München auf die Attraktivität des neuen Konzepts setzt,
Nürnberg auf intensive Betreuung der Veranstalter und
Stuttgart mit niedrigen Preisen lockt. Denn eines ist klar:
Nächstes Jahr wird es echte Verlierer geben, denn weder
Aussteller noch Besucher sind bereit, ihr Geld und ihre
Aufmerksamkeit noch einmal auf vier Veranstaltungen zu verteilen.
it & business als Kern einer neuen Systems
Die besten Perspektiven scheint derzeit die Stuttgarter
Veranstaltung zu besitzen. Die neue Messe gilt in
Baden-Württemberg als Prestigeprojekt, das massiv vom Land,
der Landeshauptstadt aber auch von den bekannt patriotischen
Unternehmern unterstützt wird. Zu letzteren zählen neben
dem fertigenden Mittelstand auch namhafte IT-Konzerne wie HP, IBM
und SAP.
Hinzu kommt, dass die ERP-Branche offensichtlich gerne gemeinsam
auftritt, auch wenn dieses Messekonzept als veraltet gilt. Zu
fragen ist allerdings, wie lange sich die Messe ihre niedrigen
Standgebühren leisten kann. Vorerst – so die
Gerüchteküche – erhalten Unternehmen das
diesjährige Einführungsangebot auch im kommenden Jahr,
wenn sie sich rasch für Stuttgart entscheiden.
it-sa füllt Nürnbergs Korb an Fachmessen
Doch das Preisargument sticht nicht immer: „Wäre es nur
wegen des Preises gewesen, hätten wir auch nach Stuttgart
gehen können“, berichtet etwa
SecuMedia-Geschäftsführer Peter Hohl, dessen
Sicherheitsveranstaltung it-sa nach Nürnberg ging. Ihm haben
vor allem die intensive Betreuung durch die Messeorganisation und
die Raumaufteilung gefallen, die auch kleine Veranstaltung exklusiv
aussehen lassen. Die Nürnberger Messe, die auch die CRM-Expo
des Veranstalters asfc sowie eine Reihe weiterer
Technikveranstaltungen betreut, macht sich nun Hoffnung darauf,
durch eine terminliche Bündelung der einschlägigen
Veranstaltungen zu einem Technologie-Zentrum zu avancieren.
Thematisch bietet ‚Security‘ die wenigsten Überschneidungen
mit den Themen der anderen Veranstaltungen und könnte durchaus
auch eigenständig überleben – wenn auch besser zu
einem anderen Zeitpunkt. Nachdenklich stimmt allerdings, dass die
it-sa von einem „Besucherwachstum“ spricht – allerdings nur rund
5000 Besucher aufweist. Auf der Systems im vergangenen Jahr hatte
der Security-Bereich jedoch 10.000 Besucher. Die Frage ist also:
Ist die Secu-Media nun wirklich mit dem it-sa-Standort
Nürnberg zufrieden oder nicht?
discuss & discover leidet unter
Systems-Vergangenheit
Misst man die d&d an der Systems, so war der Absturz hier am
dramatischsten. Das gilt insbesondere für den katastrophalen
Ausstellungsteil. Mit 250 „teilnehmenden Firmen“ ist sie auf ein
Viertel ihrer letztjährigen Größe geschrumpft.
Teilnahme bedeutete übrigens nicht notwendig, einen Stand zu
belegen. So gab es zu jedem Thema ein paar wenige Stände,
meist von relativ ungekannten Unternehmen – sieht man von
Microsoft, Dell und Intershop ab. Und so geriet die Ausstellung
nicht nur klein, sondern auch unübersichtlich.
Doch diese Wahrnehmung misst die d&d unfairerweise an der
früheren Systems. Tatsächlich waren sowohl die
Kundenveranstaltungen als auch Vorträge und Kongresse gut
besucht und kamen dem Ziel durchaus nach, Hilfe und Orientierung zu
liefern. Allerdings haben vor allem die Firmenvorträge den
hochrangigen Keynote-Sprechern das Publikum gestohlen. Mit
großem Interesse an den Vorträgen konnten jedoch auch
Stuttgart und Nürnberg punkten. Und so steht nun gerade das
neue Messekonzept der d&d auf der Kippe – vor allem wenn
nächstes Jahr auch Microsoft und Dell nicht mehr kommen.
Dabei schienen die Münchner Messeplaner im vergangenen Jahr
(fast) alles richtig gemacht zu haben. Angesichts notorisch
sinkenden Aussteller- und Besucherzahlen war es an der Zeit, einen
grundlegenden Neustart zu wagen. Tatsächlich scheint das
Konzept einleuchtend. Und trotz des enttäuschenden
d&d-Auftakts hält Bitkom-Chef August Wilhelm Scheer das
Konzept nach wie vor für richtig. Produktdemonstrationen, da
sind sich Messe- und IT-Branche weltweit einig, haben sich
überlebt. Nun sollen inhaltliche Themenvorgaben die
Veranstaltung strukturieren, Vorträge und Diskussionen
Orientierung vermitteln. Flexible Preis- und
Dienstleistungsangebote bieten zudem kleineren Teilnehmerfirmen
Unterstützung und preiswerte Präsentationsformen und den
ITK-Konzernen mehr Freiheit.
Das klingt alles so überzeugend, dass die d&d bereits
Nachahmer gefunden hat. Aus ähnlichen Gründen wie die
Systems unternimmt auch die Wiener ITnT im kommenden Jahr einen
neuen Anlauf unter der Bezeichnung ‚Cross Con‘ – einer
Mischung aus Kongress, Networking-Plattform und Side Events.
Doch in München lief von Anfang an vieles schief. Die zwei
mit Abstand größten Bereiche gingen von der Fahne.
Brüskiert von der für sie plötzlichen
Systems-Kündigung mochten sich die in Halle A1 beheimateten
Anbieter betriebswirtschaftlicher Software nicht mit einem modernen
Messekonzept anfreunden, das sie möglicherweise aus der
vertrauten Nachbarschaft gerissen hätte. Diese Unzufriedenheit
machte sich die aufstrebende neue Messe in Stuttgart zu nutzte und
lockte die ERP-Anbieter mit niedrigen Preisen ins Ländle der
wohlhabenden mittelständischen Industrie. Etwas umsichtiger
war die Messe mit dem SecuMedia-Verlag, dem Veranstalter der IT
Security Area umgegangen, dem man einen eigenen Event anbot, der
aber wegen der hohen Kosten nach Nürnberg wechselte. Mit der
it-sa wird wie gesagt derzeit wieder verhandelt.
Ist unter dem Systems-Nachfolger nun wenigstens für
nächstes Jahr ein Sieger in Sicht? Noch nicht. Keinem der
Aspiranten ist es gelungen, eine positive Außenwirkung
über den Lokalteil der jeweiligen Zeitung hinaus zu
entwickeln. Und wenn alle weiter ihre bisherigen Positionen und
Ziele verfolgen, verlieren alle. So also haben hinter den Kulissen
Verhandlungen aller mit allen begonnen. Am wenigsten beweglich sind
dabei naturgemäß die Messegesellschaften.
Es kommt jetzt vor allem darauf an, ob sich insbesondere die
großen und renommierten Hersteller für das moderne
d&d-Konzept mit mehreren Zukunftsthemen entscheiden – oder
lieber für das klassische Spezialmessen-Konzept der
Stuttgarter. Wir werden sehen.
Quelle:www.silicon.de