22.07.2013- Social CRM ist ein weites Feld, das für immer mehr Unternehmen immer wichtiger wird. Bis März war Andreas H. Bock als Senior Strategist Social Media im Bereich Vertrieb & Service Internet bei der Deutschen Telekom tätig und war dort unter anderem für den erfolgreichen „Telekom hilft“-Kundenservice des Unternehmens verantwortlich.
Er ist Mit-Initiator des 2010 gegründeten „Social Media Excellence“-Kreises und unterstützt als Social Business Strategist andere Unternehmen in den Bereichen Social Media und Service 2.0, Enterprise Social Networks sowie Community Building und Service Design.
Was ist eigentlich Social CRM? Wie würdest Du es jemandem erklären, der noch nie etwas davon gehört hat?
Social CRM ist für mich ein Synonym für die kundenzentrierte Ausrichtung (Customer Centricity) sämtlicher Wertschöpfungsbereiche eines Unternehmens sowie die Verlängerung der Wertschöpfungskette nach außen durch die Interaktion mit Kunden, Partnern und Lieferanten. Diese Ausrichtung betrifft also nicht nur die Bereiche Kommunikation, Marketing, Vertrieb und Service, die im unmittelbaren Kundenkontakt stehen, sondern auch Marktforschung, Produktentwicklung, Personalabteilung sowie Beschaffung und Logistik.
Die beste Definition für Social CRM hat noch immer Paul Greenberg geliefert: „Social CRM is a philosophy & a business strategy, supported by a technology platform, business rules, workflow, processes & social characteristics, designed to engage the customer in a collaborative conversation in order to provide mutually beneficial value in a trusted & transparent business environment. It’s the company’s response to the customer’s ownership of the conversation.“ Es geht demnach zuallererst um die Transformation des klassischen „Kundenmanagements“ zur „kollaborativen Konversation“, also um die Haltung, wie ich die neuen empowerten Konsumenten mit ihrer neuen Kommunikationshoheit sehe, ernst nehme und in aller Konsequenz versuche mit den Kunden gemeinsam mein gesamtes Unternehmen durch Kommunikation zu verbessern.
In vielen Unternehmen gibt es Fehlinterpretationen von Social CRM – kannst Du Dir erklären, woran das liegt?
Irreführend ist mit Sicherheit die aktuelle Fokussierung auf das Datenmanagement, das durch Social Media möglich wird. Alle wollen Facebook-Profile der Kunden, um in ihren CRM-Systemen mehr Korrelationen rechnen zu können und gezieltere Kundenangänge zu konzipieren. Das kann ein fairer Deal zwischen Kunden und Unternehmen sein, denn es ist gut so, wenn ich als Kunde keine Lebenszeit mehr durch überflüssige Werbung verschwende. Aber der Big-Data-Hype hat den Begriff „Social CRM“ auf einen Aspekt reduziert und das Wesentliche ausgeblendet. Das liegt mit daran, dass CRM, also Customer Relationship Management in der Tradition der dicken Software-Deals steht – und auch jeder Menge Software-Einführungs-Flops.
Es geht aber im Kern um Management, Prozesse und Unternehmenskultur, die kein Vendor „out of the box“ in seinem IT-Portfolio hat. Begrifflich würde es also helfen, nicht von „CRM“ zu sprechen, sondern vom kollaborativen Beziehungsmarketing oder vom Social Relationship Marketing, wenn der Ansatz von Social CRM verstanden werden soll. Aber das „Social“ wird über kurz oder lang ohnehin ein integraler Bestandteile von Marketing und IT werden. Die großen CRM-Systeme werden von den Anbietern gerade alle aufgebohrt, um die Vernetzung anzuflanschen.
Was ist wichtig, wenn man als Unternehmen die Einführung von Social CRM plant – worauf muss man achten?
Die Unternehmensstrategie muss als Basis für sämtliche Social-Business-Strategien und -Programme dienen, und Social-CRM-Projekte müssen auf die vorhandenen Unternehmensziele einzahlen. Aber der wesentliche Leitgedanke der Kundenzentrierung des Unternehmens muss Bestandteil der Unternehmensstrategie sein, sonst geht gar nichts.
Wenn das gegeben ist, brauche ich eine Gesamtsicht auf das Potenzial des digitalen Wandels für sämtliche Wertschöpfungsbereiche, eine Vision für das Social Enterprise. Dann beginnt das Change Management: Kommunikationsflüsse wollen kanalisiert werden. Anschließend muss ich die Governance im Unternehmen regeln und ein Operating Model entwickeln, aber zugleich Freiräume und „Frei-Zeit“ schaffen, um das vernetzte Unternehmen zu entwickeln und den Wandel nicht durch Top-Down-Überregulierung im Keim zu ersticken.
Ich muss interne Kommunikationsformate und Unternehmenskultur-Interventionen durchführen, um Mitarbeiter zu empowern und Energie für die anstehenden Projekte und den Wandel in der Denke freizusetzen. Ich muss als Führungskraft Loslassen lernen, wenn ich „Open Leadership“ als Zukunftsweg sehe. Ich muss Vertrauen aufbauen, kontraproduktive Zielsysteme überarbeiten, experimentieren und aus Fehlern lernen, um immer besser zu werden.
Bei der Deutschen Telekom hat sich das „Telekom hilft“-Projekt rasend schnell etabliert – bei anderen Unternehmen fliegt das Thema Social CRM gar nicht. Liegt es immer nur an der Umsetzung oder macht das Thema bei manchen Produkten einfach keinen Sinn?
Ich kann hier nicht mehr für die Telekom sprechen, da ich nicht mehr Telekom-Angestellter bin. Aber ich kann ex post über die Telekom Folgendes sagen: In Kommunikation, Marketing und Kundenservice „fliegt“ das Thema aus verschiedenen Gründen.
Die wichtigste Voraussetzung war: Intern hat René Obermann eine agile und innovative Unternehmenskultur sowie die vernetzten Prozesse eines Enterprise 2.0 eingefordert und selber vorgelebt – eine klare Ansage top-down ist das A und O zum Loslegen.
Die zweite Voraussetzung ist: Es gibt unheimlich viele kreative und gute Köpfe in sämtlichen Unternehmensbereichen und auf allen Hierarchie-Ebenen, die in eigenen Subnetzwerken das Thema ins operative Geschäft treiben – ohne bottom-up-Kultur geht auch nichts. Es braucht Menschen, die Kundenzentrierung als Teil ihrer Haltung verstehen und für eine neue vernetzte und kundenzentrierte Unternehmenskultur kämpfen.
Ein weiterer Faktor ist ganz simpel: Social Media ist Kommunikations-Innovation pur, und die DNA der Telekom ist Kommunikation; also fällt es der Telekom leichter, neue Medienkompetenzen für die Welt der vernetzten Kommunikation aufzubauen als Unternehmen aus anderen Branchen.
Viele Unternehmen bieten Kontaktmöglichkeiten aller Art und antworten oft erst sehr spät oder gar nicht auf Fragen. Wie lange sollte ein Kunde maximal auf eine Antwort warten, die er in Social-CRM-Kanälen stellt?
Es gibt keine universalen Service Level Agreements, aber die Erwartungshaltung von Kunden und digital Sozialisierten wird aufgrund der Verbreitung von Smartphones immer anspruchsvoller werden. Denn bei diesem Instrument liegen die Individualkommunikation per Telefonat sowie die öffentliche Internet-Kommunikation many-to-many komfortabel in einer Hand liegen.
Auf der einen Seite gibt es Themen und Situationen, bei denen die Antwort eines Unternehmens auf eine direkte Anfrage „irgendwann“ kommen kann – wobei irgendwann für mich zurzeit maximal 24 Stunden bedeutet. Wenn auf der anderen Seite ein Kunde Anzeichen von Ärger oder Ungeduld erkennen lässt, dann ist ASAP ganz einfach zu definieren: Kommunikation per Social Media darf nicht länger auf sich warten lassen als in den etablierten Kanälen. Das bedeutet im Zweifelsfall: sofortige Verfügbarkeit wie bei einem Telefonanruf – und bitte ohne Warteschleifen-Gelulle.
Noch ist „CRM at the speed of light“ (Paul Greenberg) in der Praxis eher seltene „Moments of Truth“, aber die weisen den Weg zur anstehenden Normalität – jedenfalls solange wir Märkte mit Wettbewerb haben. Selbstverständlich muss die Erwartungshaltung von Kunden mit der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens überein gebracht werden, aber die Forderung von Kunden ist simpel: Ich will, so wie ich will. Und ich will, wann ich will. Wer das als Unternehmen am geschmeidigsten bedient, wird wertgeschätzt und differenziert sich.
Wem „gehört“ Social CRM eigentlich – ist das ein Marketing-, Kommunikations- oder Kundenservice-Thema? Wer sollte sich damit im Idealfall beschäftigen?
Social Relationship Marketing ist ein Kunden-Thema. Und jeder Bereich muss vernetzt mit sämtlichen anderen Bereichen bis hin zum Produktmanagement mit Lichtgeschwindigkeit die Anliegen von Kunden zur vollsten Zufriedenheit lösen. Durch den hinter uns gebrachten Social-Media-Hype der vergangenen Jahre gab es divergente und isolierte Aktivitäten, die in den einzelnen Unternehmenssparten mit Lust und Experimentierfreude getrieben wurden – immer aus den jeweiligen Aufgabenstellungen und den Zielen heraus, die ein Bereich hat.
Oft waren die Kommunikations- und Marketingabteilungen zuerst dran, weil ihre Domäne die Medien- und Markenkommunikation ist. Kundenservice war – und ist oft noch immer – ein hässliches Entlein, das vor allem gebraucht wird, um die „störenden Kundenbeschwerden“ aus den schönen Kommunikatoren- und Erlebniswelten „abzusaugen“. Zu wenige Unternehmen verstehen, dass das „Socializen“ der Kernprozesse wie Kundenservice und Innovationsmanagement die wichtigsten Hebel für die Kundenzentrierung eines Unternehmens sind.
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